Lothar Wolleh war ein deutscher Fotograf.
Berlin, Deutschland 1930 - 1979 London, England.

Reise in das Seelenleben

Für Lothar Wolleh: Entwurf eines Porträts

Lothar Wolleh
  • Autor Ingrid Bachér
  • Zeit 1980
  • Werk Portrait

Ein Jahr nach Wollehs Tod verfasst die Schriftstellerin Ingrid Bachér einen Artikel den sie Lothar Wolleh widmet und der eine atemberaubend einfühlsame Reise in das Seelenleben und die schöpferische Phantasiewelt des Lothar Wolleh darstellt.

Lothar Wolleh, 1979

Ein Wünschelrutengänger, so kommt er daher, ein schöner Träumer, exzentrischer Phantast und Utopist, gierig und nie genügsam, erfindungsreich um die Beute zu jagen, die er zuvor schon im Kopf besaß. Süchtig ist er nach Kostbarem, das der Glut seiner Vorstellungen gleicht. Naiv genug, um daran zu glauben und intensiv genug, um es wenigstens bruchstückweise zu gewinnen.

Konventionen
hat er nie gelernt

Wenn er redet, irritiert er, läßt niemanden häuslich gemütlich voll ausatmen; mit ihm zu sein ist anstrengend und belebend. Seine Phantasie ist geschult darauf ihn durchzubringen, sie stellt, unbefangen wie er ist, Verbindungen her zwischen Ungewöhnlichem. Konventionen hat er nie gelernt, so erscheint ihm das Außerordentlich natürlich. Nichts soll unmöglich sein.

Seine Worte versuchen, zu locken, zu verführen, überlistet wird das tödlich Wahrscheinliche in der Suada von Sätzen, Vorstellungen, Ideen ... Doch plötzlich bricht das alles ab, diese Rede und das Leichte, Lockere, wie eben nur Hingeworfene. Mattigkeit kommt auf, etwas Scheues wird spürbar, die Augen verhangen, wie bei einem, der allein sein möchte, schon allein ist, hat sich verausgabt, atmet schwer. 

Wie eine Munch-Gestalt weht er durch die Straßen, sagt ein Freund, er ist ungreifbar. Ungreifbar, ratlos und ungeborgen streunt er herum, nährt das Phantastische Element in sich, das er braucht, um in Kontakt mit der Umwelt zu kommen, mit existentieller Angst, die so stets aufdringlich ihm bleibt.   

Geprägt durch Krieg und Gefangenschaft

Der Krieg wird nicht fortzudenken sein aus seiner Geschichte, nicht die 6jährige russische Gefangenschaft von seinem 20. bis 26. Lebensjahr. Extrem antwortet er auf diese extreme Erfahrung, verlangt nach einer Lebendigkeit, die an Intensität dem Schrecklichen nicht nachsteht, überspringt so die Barriere des Normalen.

Ein Porträt von ihm zu entwerfen, könnte heißen, sich seiner Arbeitsweise zu bedienen. Er verkleidet, um darzustellen Inszeniert bevor er photographiert, hat das Bild schon zuvor fertig im Kopf und gleicht die Aufnahme trickreich diesem imaginären Bild an, das vielgestaltiger und fabulöser als die Wirklichkeit sie immer zu steigern versucht. (Der Grundstock seiner phantastischen Welt bleibt die frühe Geschichte: der König, der im Zentrum steht, die überhöhte Macht, die fremdländische Prinzessin, die versunkenen, vergrabenen Schätze, die Möglichkeit sich listenreich zu befreien.) 

Phantasie wird notwendig als Zugang zum Schöpferischen. So trifft er die Künstler; wie sie ist er begeisterungsfähig aus eigener Kreativität heraus, abgeschlagen und immer wieder neu ansetzend, der Intuition vertrauend. Er erkennt Kunst als das unter Gefährdung zustande gebrachte, losgelöst davon Befreiende, Erstaunliche. „Setz mich in Erstaunen“. Dies betrifft ihn, und so photographiert er Künstler mitten in ihrer Arbeit, in einem Ambiente, das eine Aura entstehen läßt, sieht sie nie getrennt von dem, was sie tun, dem Wahnwitzigen, Transzendierenden, ihm Verwandten.

Man Ray
Konrad Klapheck

Telepathisch erfaßt er den Zusammenhang zwischen Dargestelltem und Gewolltem, fühlt vor, weiß was läuft, was Qualität hat, will seinen Anteil davon. Er verehrt, animiert, treibt hoch, bringt eigene Einfälle ein, tauscht und pokert um zu besitzen, ist besessen vom Außergewöhnlichen, das jenseits der Ordnungen im Gewöhnlichen steckt. So sind auch seine verwegensten Vorschläge und Erfindungen, bei aller Phantastik, geplant als mögliche (und sei es im Jules Verneschen Sinne), wie utopisch sie auch immer erscheinen mögen.

Instalation by Günther Uecker

Tatsächlich beginnt er auf Gotland aus Steinen das Totenschiff zu bauen, sich so archaischen Mythen verbindend. Und tatsächlich will er das Museum in die Erde bauen, geschützt von einer Überflutungsanlage, wenn Feinde kommen - oder jenes unangreifbare, verborgene im Berg in Liechtenstein. Dafür will er Kunst sammeln, läßt die Künstler die Photographien, die er von ihnen macht, übermalen, überarbeiten. Nochmaliges Verfremden und ins Künstliche treiben. So doppelt versucht er sie dem Verfall zu entziehen, vom Vergänglichen zu lösen, um endlich sicher sein zu können, daß sie als Kunstwerke teilnehmen werden am Überdauernden, Unsterblichen.

Günther Uecker, Zeichnung für Wollehs „Totenschiff“ Installation

Denn er will überleben, immer nur dies. Wozu sonst sollte es sich gelohnt haben, sich so durchzuschlagen, unrastig mit allen Kräften, bis zu physischen Zusammenbrüchen das Sterbliche strapazierend, wenn nicht irgendetwas bleibt von dem was er glanzvoll erträumte, ein Echo wenigstens, das sich fortsetzt, wie es der Herzschlag nicht kann.